Sehr geehrter Herr Keller,
nach der Atomkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 verkündeten Sie, auf dem Winterstein Windkraftanlagen errichten zu wollen. Damals war es opportun, sich für die erneuerbaren Energien einzusetzen und sich als der Zukunft zugewandter Bürgermeister zu präsentieren. Sie taten dies sowohl in Zeitungsartikeln als auch auf Podiumsveranstaltungen des Aktionsbündnisses Querstellen-Friedberg. Im Verlauf der letzten vier Jahre hat sich diese Haltung offenbar stark gewandelt. Mehreren Zeitungsartikeln konnten wir entnehmen, dass Sie das Projekt Windpark Winterstein „ruhen lassen“ wollen. Dabei dient Ihnen ein Gerichtsurteil zum 15 km-Radius um Funkfeueranlagen als Argument. Beim Standort Winterstein fehlen dazu gerade einmal 500 m! Die hessenENERGIE hat in der Vergangenheit an mehreren Standorten auch im Abstand zwischen 10 km und 15 km die Genehmigung der Flugsicherung erhalten. Für den Winterstein können diese Genehmigungsprozesse als prinzipiell übertragbar angesehen werden.
In der letzten Stadtverordnetenversammlung kam jetzt die ganze Wahrheit ans Licht. Auch Sie als Bürgermeister und die SPD schlagen sich – wider besseren Wissens – auf die Seite der Windkraft-Verhinderer.
Die Notwendigkeit der Energiewende, die große Bedeutung der Windenergie, die Wichtigkeit der dezentralen Energiegewinnung und einer regionalen Wertschöpfung sind Ihnen hinlänglich bekannt. Ohne den Ausbau der Windkraft – auch hier in Friedberg – wird die Energiewende ausgebremst und der Klimaveränderung weiter Vorschub geleistet.
Daher erwarten wir Bürger*innen von Ihnen als unserem Bürgermeister, von dem Magistrat und von den Stadtverordneten, dass Sie sich intensiv für den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere für den Windpark Winterstein als zentralen Baustein, einsetzen.
Das Wintersteingebiet ist ein idealer Standort für einen Windpark: Es verspricht eine hohe Windausbeute, liegt weit entfernt von Wohnbauten hinter der lärmenden Autobahn und befindet sich nahezu vollständig auf städtischem Boden, was der Stadt hohe Pachteinnahmen sichert. Nur die Silhouette des Taunusrandes wird sich verändern. Fernsehturm und Handymast werden Gesellschaft bekommen.
Ja, die Erfahrung zeigt, dass es Bürger*innen gibt, die sich nur schwer mit dem Anblick von Windrädern anfreunden können. Ja, es gibt Windkraftgegner*innen, die irrationale Ängste vor der Windkraft schüren, sie als Naturverschandelung verunglimpfen und verantwortungslos weiter auf Atomkraft oder Klimazerstörung durch Kohleverstromung setzen. Auch wenn hier noch Überzeugungsarbeit zu leisten bleibt und zukunftsorientiertes Handeln sicher nicht immer bequem ist: für die künftigen Generationen ist es unabdingbar.
Ein konfliktscheuer Bürgermeister und eine SPD, die sich nicht mehr an die wichtigen Themen unserer Zukunft herantrauen, verspielen das in sie gesetzte Vertrauen und sind nicht mehr wählbar. Die Politiker unserer Nachbarstadt Butzbach beweisen deutlich mehr Mut: sie haben gerade einen Pachtvertrag mit hessenENERGIE abgeschlossen und damit ihren Windpark auf den Weg gebracht. In Friedberg setzen die politisch Verantwortlichen – mit Ausnahme von Bündnis 90/Die Grünen – offenbar lieber auf Konfliktvermeidung und Populismus. Fürchten SPD und Bürgermeister bei einem so konfliktgeladenen Thema wie der Windkraft womöglich um ihre Wiederwahl? Wer allerdings dringend notwendige Maßnahmen für die Zukunft unterlässt, wird dafür sicher auch nicht mit Wählerstimmen belohnt!
Zum Wohle der Stadt Friedberg und der Wetterau erwarten wir von unserem Bürgermeister, dem Magistrat und den Stadtverordneten, dass sie das Projekt Windpark auf dem Winterstein jetzt umgehend auf den Weg bringen.
Im neuen EEG ist die schrittweise Absenkung der Vergütung ebenso festgelegt wie die Notwendigkeit einer europaweiten Ausschreibung ab 2017. Jede Verzögerung führt also letztlich zu verringerten Einnahmen für Betreiber und Stadt und gefährdet das Ziel der regionalen Wertschöpfung. Nach unseren Informationen liegt ein Pachtangebot der hessenENERGIE vor, die bereit ist, gemeinsam mit der OVAG den Windpark zu errichten. Mit Abschluss des Pachtvertrags könnte das Genehmigungsverfahren umgehend auf Kosten der hessenENERGIE eingeleitet werden und der Stadt bliebe trotzdem die Option einer späteren Beteiligung offen.
Daher fordern wir Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordnete auf, jetzt sofort zu handeln. Später könnte zu spät sein.
Friedberg, im Juli 2015
Für das Aktionsbündnis Querstellen-Friedberg
Ulla Broeker
Klaus Kissel
Christa Knoke-Wilhelm
Hans-Dieter Wagner