Mit den Explosionen der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 sind sowohl die gewaltige Energie als auch die Gefährlichkeit der Nuklearspaltung deutlich geworden. Trotzdem wurde die Nutzung der Kernenergie weltweit ausgedehnt, zur Herstellung von Atombomben und zur Stromerzeugung. Vor allem die „friedliche“ Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung wurde uns als „zukunftsweisend“ verkauft. Geblieben ist stets eine im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährliche Technologie und bis heute existiert kein sicheres Endlager für den nuklearen Abfall.
Spätestens seit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 ist der Ausstieg aus der „friedlichen“ Nutzung der Kernkraft von immer mehr Menschen, Organisationen und Staaten gefordert worden. Ende der neunziger Jahre ist in Europa als erstes Österreich ausgestiegen, danach folgten Italien und Litauen.
Auch in Deutschland forderte inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung den Ausstieg. Der sogenannte „Atom-Konsens“ von 2002 in Deutschland war ein erstes politisches Resultat. Diese Vereinbarung hatte als Ziel, die Sicherheit von AKWs zu verbessern, aber noch wichtiger, die geordnete Beendigung des Betriebs der Atomkraftanlagen. Sie war ein Konsens, verhandelt während der Rot-Grünen Bundesregierung mit den 4 großen Atomkraftwerksbetreibern.
Die Risiken der Atomenergienutzung wurden neu bewertet. Die AKW Betreiber wurden verpflichtet, Sicherheitsüberprüfungen durchzuführen. Sie mußten Zwischenlager für Atommüll vor Ort errichten. Die Nutzung der nuklearen Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield in England und La Hague in Frankreich war ab 2005 untersagt worden. Die obligatorische Haftpflichtversicherung der Betreiber für Atomkraftanlagen wurde verzehnfacht.
Die Regellaufzeit eines AKWs war auf 32 Jahre begrenzt. Ab 1.1.2002 wurde die „Reststrommenge“ für alle AKWs auf insgesamt 2623 Terrawattstunden festgelegt. „Reststrommengen“ konnten von älteren auf neuere AKWs übertragen werden. Mit dieser Vereinbarung sollten alle AKWs zwischen 2022 und mit Drosselung bis 2025 abgeschaltet werden. Ein Neubau von AKWs sollte nicht mehr genehmigt werden.
Wenige Monate vor der Nuklearkatastrophe in Fukushima verlängerte die Schwarz-Gelbe Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestags und Bundesrats im Oktober bzw. November 2010 die Laufzeiten von Deutschlands Kernreaktoren. Die Betriebserlaubnisse für AKWs, die vor 1980 gebaut waren, wurden um 8 Jahre verlängert, die 10 übrigen AKWs, gebaut nach 1980, sollten 14 Jahre länger laufen können. Dieser Beschluss beendete den Atom-Konsens von 2002.
Zusammen mit den Laufzeitverlängerungen für AKWs wurde von der CDU/CSU/FDP-Regierung eine Brennelemente-Steuer eingeführt: Nach dem „Kernbrennstoff-Steuergesetz“ wurde pro Gramm Kernbrennstoff von Brennstäben, die neu in einem AKW zum Einsatz kommen, eine Steuer von 145 € festgelegt.
Begründet wurde das u.a. damit, dass es um einen „Subventionsabbau“ pro „Kernenergiewirtschaft“ gehe und „…die großen vier nationalen Stromversorger … einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen kleinen und mittelständischen Stromanbietern habe…„. Zudem sei „die Kernenergie…nicht vom CO2-Emissionshandel betroffen und somit gegenüber anderen Energieträgern bevorzugt.“ Außerdem würden „…gerade die Kosten für Endlagerung und für den Rückbau der Kernkraftwerke im Wesentlichen vom Steuerzahler in Deutschland getragen…“.
Die Laufzeit dieses Gesetzes wurde auf die Zeit vom 1.1.2011 bis zu 31.12.2016 festgelegt. Diese Laufzeit ist wesentlich kürzer als die verlängerten Laufzeiten der Anlagen.
Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 verhängte die Schwarz-Gelbe Regierung ein 3-monatiges Atom-Moratorium: 8 AKWs wurden abgeschaltet. Die sieben ältesten und das AKW ‚Krümmel‘ – die gleichen Anlagen, die laut Atom-Konsens von 2002 im gleichen Zeitraum abgeschaltet worden wären.
Ende Juni wurde dann der Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 beschlossen. Auch dieser Zeitraum entspricht dem Zeitplan des damaligen Atom-Konsenses von 2002.
Zurzeit laufen noch 8 Atomkraftwerke in Deutschland. Sie müssen alle bis Ende 2022 abgeschaltet werden. Trotzdem endet die Kernbrennstoff-Steuer schon Ende 2016. Für die AKW-Betreiber bedeutet das eine Ersparnis von 144 Millionen € pro Reaktor und Jahr. Die gesamte Ersparnis für die Restlaufzeiten aller Reaktoren belaufen sich auf 5 Milliarden €. Das ist eine gigantische Ersparnis für die 4 großen Stromlieferanten: E.on, RWE, EnBW und Vattenfall.
Die Brennelemente-Steuer macht den Betrieb der AKWs weniger interessant für die Betreiber; das AKW in Grafenrheinfeld wurde ein halbes Jahr früher als gesetzlich vorgegeben abgeschaltet, weil aufgrund der Brennelementsteuer „sich der Weiterbetrieb nicht lohne“.
Der Ausfall der Kernbrennstoff-Steuer bedeutet auch einen gigantischen Steuerausfall in einer Zeit der „Schwarzen Null“, wenn Sparmaßnahmen die erste Priorität in der Haushaltsplanung des Bundes haben. Die Grünen, die Linken und die SPD befürworten die Verlängerung der Kernbrennstoff-Steuer bis Ende 2022, wenn die letzten AKWs abgeschaltet werden sollten. Die Umweltschutzorganisationen BUND und ‚Ausgestrahlt‘ sowie das Umweltinstitut München verlangen in einem Brief diese Verlängerung als eine Beteiligung der Betreiberfirmen an den enormen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Kosten der Atomenergie. Während Umweltministerin Hendricks die „Entfristung“ (Verlängerung) der Atomabgabe befürwortet, sind das Finanzministerium und der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfaktion, Joachim Pfeiffer, dagegen. Die Möglichkeit eines Antrages aus der Regierungskoalition zur Verlängerung der Kernbrennstoff-Steuer ist unwahrscheinlich, da laut des Koalitionsvertrages mit der CDU, die SPD nur „gemeinsamen Anträgen“ zustimmen darf. „Koalitionsdisziplin“ steht einer vernünftigen Besteuerung der Atomkraftwerksbetreiber im Wege. Wir erwarten zumindest einen Antrag der Grünen und der Linken.
Aktuell wurde bekannt, dass sich die Atomkonzerne bereits in diesem Jahr um die Zahlung eines großen Teiles der Brennelemente-Steuer in Höhe von über 700 Millionen € „drücken“, indem sie den steuerbelegten Brennelemente-Austausch erst 2017 vornehmen.
Bei all dieser Entwicklung hat die Bundesregierung Ende Oktober den ‚Gesetzentwurf für die Regelung der Folgekosten der Atomkraft‘ beschlossen. Danach wollen sich die AKW-Betreiber mit „lächerlichen“ 23 Milliarden EURO freikaufen. Aktiv verteidigt wird die Vereinbarung u.a. von Jürgen Trittin (Bündnis ´90/Die Grünen), Co-Vorsitzender der Atom-Finanz-Kommission: „Das ist sehr solide finanziert.“ Selbst politisch eher konservative Stimmen wie die Neue Osnabrücker Zeitung schreiben: „Ein mieser Deal zulasten der Steuerzahler.“
Wie zu oft kontrollieren Großindustrielle die Gesetzgebung in Deutschland. Der Umweltschutz und die Gesundheit der Bevölkerung stehen weit hinter der Profitgier der Großkonzerne.
Das trifft ebenso zu für die umstrittenen Industrie-Subventionen „Netzrabatte“, die im kommenden Jahr auf über 1 Milliarde EURO steigen. Dazu zählen nicht nur große Stromabnehmer aus der Stahl- und Aluminium-Industrie, sondern auch Schlachthöfe, Discounter, Fast-Food-Filialen, Banken und Versicherungen, Großbäckereien oder die Deutsche Börse. AKWs mit ihrem hohen Eigenstrombedarf sind von Ökosteuer und EEG-Umlage völlig befreit. Und die Verbraucher müssen zahlen.
Karen Warkall und Klaus Kissel